Haiku

Gedichte und Bilder verstärken gegenseitig die Stimmung und den Ausdruck. Seit vielen Jahren fotografiere ich poetische Motive und finde irgendwann das passende Gedicht dazu. Ganz besonders inspirierend finde ich die japanischen Haiku.

Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die heute weltweit verbreitet ist. Das Haiku gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt. Ein traditionelles Haiku besteht aus einem Vers mit drei Wortgruppen mit 5-7-5 Moren. Im Deutschen sind diese ebenfalls dreizeilig mit der Vorgabe von 5-7-5 Silben.

Der bekannteste japanische Haiku Dichter ist Bashõ.

Ohne jeden Grund
horch‘ ich, was der Nachbar treibt
in der kalten Nacht.


(Kikaku)

Aus der Höhe tönt
wilder Gänse Flügelschlag –
Kalte Mondennacht.

(Seiran)

Rasch sah ich mich um;
doch der Nebel hatte den
Wanderer verschluckt!

(Shiki)

Kleiderwechseltag – ⛩
dennoch bleibt der Rabe schwarz
und der Reiher weiß.

(Chora)

Still und unbewegt,
wie die Kerze leuchtet, blüht
die Päonie!

(Kyoroku)

Meiner Füße Staub abzuwaschen, wag' ich nicht - allzu klarer Quell! (Fuhaku)

Meiner Füße Staub ⛩

abzuwaschen, wag‘ ich nicht – ⛩

allzu klarer Quell! ⛩

(Fuhaku)

De rietkragen zingen
zonder zichtbare zangers.
Spetters knetteren
.

(Osho Ozamaki FutonPress ©)

Schilfgürtel singen
ohne sichtbare Sänger.
Tropfen zerspringen.

(Übersetzung: Marion Schmidt)

Knödel sind euch doch
lieber als die Blütenpracht?
Gänse fliegen fort.

(Teitoku)

Du, dürrer Frosch,
lass‘ Dich nicht unterkriegen –
Issa ist hier.
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Yasegaeru
makeru na Issa
koko ni ari

(Issa)

Lange, bange Nacht.
Was mir mein Gemüt bewegt,
spricht das Wasser aus –

(Gochiku)

Wieder schwand ein Jahr –
Und ich trage immer noch
Pilgerhut und -schuh.

(Basho)

Schau, der erste Schnee!
Welcher Mensch im ganzen Land
bliebe heut zu Haus‘?

(Mikaku)


Ja, der Herbst ist da.
Als ich heut mein Haus verließ,
brannte noch das Licht –

(Suretsu)

Weiter rückt der Herbst.
Was für eine Gattung Mensch
mag mein Nachbar sein?
(Bashõ)

Seht den roten Mond!
Kinder, seht ihn euch doch an!
Wem gehört er wohl?

(Issa)

Wenn Päonien blühn, ist es mir, als gäbe es andre Blumen nicht! (Küchi)

Wenn Päonien blühn,
ist es mir, als gäbe es
andre Blumen nicht!

(Küchi)

Wird man einmal alt,
ist ein langer Tag
Grund zum Traurigsein – ⛩

(Issa)

Wie gelassen sie
ihre Blätter fallen läßt,
Blüte roten Mohns! ⛩

(Etsujin)

Wer wird heute wohl, da die Kirschenbäume blühn, auf das Unkraut sehn? (Sodô)

Wer wird heute wohl,
da die Kirschenbäume blühn,
auf das Unkraut sehn?
(Sodô)

Ohne viel Getu‘
ist der Frühling einfach da –
Helles Himmelsgelb! ⛩

(Issa)

Seht, an jeder Tür
stehn jetzt Schuhe voller Kot –
Ja, der Lenz ist da!

(Issa)

Neujahrstag ist heut!
Wer mir heut den Schnee zertritt,
soll willkommen sein.


(Yayû)

Ein verstecktes Dorf.

Hier ist Armut altgewohnt –

Kühler Abendhauch.

(Issa)

Wie der Herbstwind weht!

Doch wir beide leben noch,

beide, du und ich.

(Shiki)

Bläst der Wind von West,
häufen sich im Osten die
welken Blätter auf. ⛩

(Buson)

Voller Mondenschein!
Spräch‘ doch niemand auf der Welt
über Geld und Gut!


(Chiyû)

Wie die Orchidee ⛩
sich im eignen Duft verbirgt – ⛩
Weiße Blütenpracht! ⛩
(Buson)

Ausgedörrtes Schilf – ⛩
Täglich bröckelt etwas ab ⛩
und wird fortgeschwemmt. ⛩
(Rankô)

Seht die Schnecke an – ⛩
ein Horn lang, das andre kurz – ⛩
Was bekümmert sie? ⛩
(Issa)

Durch die Blütenschau ⛩
wurde auch mein Herzensgrund ⛩
wieder blütenrein! ⛩
(Tayo-ni)

Wie sie selig sind! ⛩
Käm‘ ich nochmals auf die Welt, ⛩
sei’s als Schmetterling! ⛩
(Issa)

Eine Menschenspur ⛩
auf dem Sand des Meeresstrands. ⛩
Langer Frühlingstag –


(Shiki)

Stolz, als hätte es ⛩
in des Wassers Grund geschaut, ⛩
sieht das Entlein aus! ⛩
(Jôsô)

Nichts ist mehr zu sehen, ⛩
Himmel nicht und Erde nicht, ⛩
und es schneit und schneit ⛩

(Hashin)

Wintereinkehrzeit ⛩
Manche Fragen stellte ich ⛩
Buddha selber gern ⛩

(Shiki)

Ach, nun ist es Herbst ⛩
zwischen Baum und Baum und Baum ⛩
Farbe des Himmels. ⛩

Aki nare ya ⛩
konoma konoma no ⛩
sora no iro ⛩

(Yokoi Yayũ)

Höchste Güte und ⛩
höchste Schönheit sind vereint: ⛩
Blüte roten Mohns! ⛩

(Issa)

Blüten, noch so schön, ⛩
heute ist der volle Mond ⛩
schöner noch als ihr! ⛩

(Sôin)

Boot und Ufer sind ⛩
beide ins Gespräch vertieft ⛩
Langer Sommertag. ⛩

(Buson)

Welchen Frühlingstraum ⛩
träumt er wohl, der Schmetterling, ⛩
der die Flügel regt? ⛩

(Garaku)

Wilde Wandergans, ⛩
einst, bei deinem ersten Flug, ⛩
wie alt warst du da? ⛩

(Issa)

Wie die Frühlingssee ⛩
durch den ganzen langen Tag ⛩
ruhig wogt und wogt ⛩

(Buson)

Feld und Hügel hat ⛩
fortgenommen heut der Schnee ⛩
Nichts ist mehr zu sehen. ⛩

(Jósó)

JANUAR 2021:
Heut beschaut‘ ich mir ⛩
erst den frischgefall’nen Schnee ⛩
dann erst wusch ich mich! ⛩

(Rokushi)

Trüber Nebeltag ⛩
Leer und einsam ist es heut ⛩
in dem weiten Saal. ⛩

(Issa)

Seid doch unbesorgt ⛩
Auch die Blätter fallen ja ⛩
ohne Murren ab! ⛩

(Issa)

Wie der Herbststurm braust! ⛩
Aber hoch am Himmel stehen ⛩
Wolken unbewegt. ⛩

(Nogetsu)

In die weite Welt ⛩
zieh’n die Spinnenkinder weg. ⛩
Jedes macht sein Glück. ⛩

(Issa)

AUGUST 2020: In der Sonnenglut - scheint sogar der Schmetterling - schwarzversengt zu sein! (Ryôta)

In der Sonnenglut ⛩
scheint sogar der Schmetterling ⛩
schwarz versengt zu sein! ⛩

(Ryôta)

Die Weinbergschnecke. ⛩
Verloren kriecht sie im Wald ⛩
und sucht die Trauben. ⛩

(Marion Schmidt)

Meine Lebenszeit ⛩
ach, wie lange währt sie noch? ⛩
Ja, die Nacht ist kurz ⛩
(Shiki)


Übervoll erblüht, ⛩
doch keine von diesen ⛩
Blüten will fallen. ⛩

Saki-michite ⛩
koboruru hana mo ⛩
nakari-keri ⛩

(Takahama Kyoshi)

Seltsam ist es doch, ⛩
daß man hier am Leben ist, ⛩
unterm Blütenbaum! ⛩

(Issa)

Zarte Kirschblüten ⛩
der Frühling lockt sie hervor ⛩
sie schaukeln im Wind. ⛩

(Marion Schmidt)

Die Kraft der Natur ⛩
läßt die Erde aufbrechen. ⛩
Erste Krokusse. ⛩

(Marion Schmidt)

Im Strahl der Sonne ⛩
frühmorgens im Wattenmeer ⛩
auf dem Meeresgrund ⛩

(Marion Schmidt)

Ach, mich überfällt – ⛩
bodenlose Einsamkeit – ⛩
Nasser Regenschnee. ⛩

(Jôsô)

Stille ⛩
sie sammelt sich ⛩
im Geräusch der Tropfen ⛩

Shizukesa no ⛩
kori shitatari no ⛩
oto to naru ⛩

(Matsumoto Tousui)

Weiße Tautropfen ⛩
aneinandergereiht ⛩
auf den Dornen der Heckenrosen ⛩

Shiratsuyu ya ⛩
ibara no hari ni ⛩
hitotsu dutsu ⛩

(Buson)

Ein Felsgesicht schaut mich an ⛩
ich blicke zurück ⛩
und erstarre vor Kälte. ⛩

(Marion Schmidt)

Ein Himmelssegel ⛩
ich sitze im Wolkenboot ⛩
und schwebe davon ⛩

(Marion Schmidt)

Sicher gelandet! ⛩
Die Libelle balanciert ⛩
auf dem dünnen Zweig. ⛩

(Marion Schmidt)

Wie säh‘ ich so gerne ⛩
aus Blüten aufleuchtend ⛩
ein Göttergesicht ⛩

Nao mitashi ⛩
hana ni akeyuku ⛩
kami no kao ⛩

(Bashō)

Ich lausche den Wellen, ⛩
mein Ohr ⛩
auf die warmen Klippen gepreßt. ⛩

Yaketeiru ⛩
shou ni mimi tsuke ⛩
nami wo kiku ⛩

(Shinohara, Bon

Buschrohrsänger ⛩
bist du die Seele im Schlaf ⛩
der schönen Weide ⛩

Uguisu o ⛩
tama ni nemuru ka ⛩
tao yanagi ⛩

(Bashō)

Etwas schneller als ich,⛩
ist der Fluß ⛩
im Frühling. ⛩

Haru no mizu ⛩
waga ayumi yori ⛩
yaya hayashi ⛩

(Tanino Yoshi)

Etwas schneller als ich ⛩
ist der Fluß ⛩
im Frühling… ⛩

Haru no mizu ⛩
waga ayumi yori ⛩
yaya hayashi ⛩

(Tanino Yoshi)

Das alte Jahr und ⛩
das neue: etwas zieht sich ⛩
durch wie ein Stab ⛩

Kozo kotoshi ⛩
tsuranuku bou no ⛩
gotoki mono ⛩

(Takahama Kyoshi)

Mächtige Gletscher ⛩
Menschen stehen allein ⛩
in der Stille, im Nichts. ⛩

Daihyouga mu no ⛩
shizukesa ni ⛩
hitoga tatsu. ⛩

(Ouhashi, Atsuko)

Novemberhimmel, ⛩
die violette Wolkendecke ⛩
zieht über das Dorf ⛩

(Marion Schmidt)

Tiefer Herbst. ⛩
Mein Nachbar, ⛩
was macht er? ⛩

Aki fukaki ⛩
tonari wa nani o suru ⛩
hito zo ⛩

(Bashō)

Der Wasserfall stürzt hinab ⛩
die Welt ⛩
ein tiefblaues Tosen ⛩


Taki ochite ⛩
gunjou sekai ⛩
todoro keri ⛩

(Mizuhara Suuoushi)

Das Meer im Sommer ⛩
zerbirst in tausend Stücke: ⛩
So viele Inseln. ⛩

Shimajima ya ⛩
Chiji ni kudakete ⛩
natsu no umi ⛩

(Bashõ)

Wie säh‘ ich so gerne ⛩
aus Blüten aufleuchtend ⛩
ein Göttergesicht. ⛩

Nao mitashi ⛩
hana ni akeyuku ⛩
kami no kao ⛩

(Bashō)

Frühlingshitze flimmert. ⛩
um fadenzarte Taugrasblätter ⛩
webt Dunstschleier. ⛩

Kagerou ya ⛩
saiko no ito no ⛩
usugumori. ⛩

(Bashō)

Frisches Quellwasser, ⛩
eisig kalt ⛩
zwischen den Zähnen ⛩


Musubu yori ⛩
haya ha ni hibiku ⛩
izumi kana ⛩

(Bashō)

Eisige Wellen ⛩
brechen stürzend ⛩
über ihren Schatten ⛩
.
Fuyunami ha ⛩
sono kage no e ni ⛩
kutsugaeru. ⛩

(Tomiyasu, Fuusei)